Zeitzeugenberichte    - vereintes Deutschland -

 

Werner

Fortsetzung des  Zeitzeugenberichts aus dem Themenbereich  - geteiltes Deutschland -

 

2002: Ein Ost-West-Gespräch im Rückblick

Inzwischen hatten sich die Lebensverhältnisse für alle Bewohner der ehemaligen DDR bekanntlich völlig verändert, nicht nur durch 2 Währungsreformen innerhalb von 12 Jahren. Die ältere Generation erlebte sogar 4 mal neues Geld: 1924 die Rentenmark, 1948 die DDR-Mark, 1990 die Deutsche Mark und 2002 den EURO. Die Beziehung zu den Görlitzer Verwandten war durch den Tod der Großeltern 1992/94 beendet. Auch Tante und Onkel starben 1994/96 in Mühlhausen; die Kontakte zu meinen Cousins und deren Familien blieben aber - leicht abgeschwächt - bis heute bestehen. Der Cousin in Edersleben war bei der Reichsbahn beschäftigt und behielt seinen Arbeitsplatz bis heute. Er konnte sein ererbtes Haus - schon zu DDR-Zeiten in gutem Zustand - weiter ausbauen und sanieren, lebt also in einigermaßen guten Verhältnissen. Der Cousin in Mühlhausen verlor bald seinen Arbeitsplatz, weil seine Firma in private Hände überging und er im Alter von 50 Jahren nicht übernommen wurde. Er bezog mit seiner Familie eine etwas größere Mietwohnung, die nach 3 Jahren in eine Eigentumswohnung umgewandelt wurde. 1997 ging er vorzeitig in Rente, seit einem Schlaganfall im Jahr 2000 ist er stark gehbehindert. Seine erheblich jüngere Frau - als Näherin in Teilzeitarbeit beschäftigt - verlor kurze Zeit später auch ihren Arbeitsplatz. So hat sich die Lage der Familie seit der Wende deutlich verschlechtert. Unsere Tochter Julia besuchte im November 2002 Petra, die Frau meines Cousins, in Mühlhausen. Ehemann und Sohn waren beide im Krankenhaus. Es ergab sich folgendes Gespräch zwischen West und Ost, zwischen Julia (20) und Petra (40):

Julia:   Wie geht es euch denn so hier nach der Wende?

Petra:  Manches ist besser, vieles ist schlechter geworden.

Julia:   Früher gab es nicht alles zu kaufen, jetzt sind die Geschäfte wie im Westen.

Petra:  Ja, aber du mußt auch das nötige Kleingeld haben.

Julia:    Die Preise sind hier ja niedriger als bei uns. Reicht denn Manfreds Rente?

Petra:   Nur knapp. Früher in der DDR-Zeit waren z.B. Brot und Brötchen viel billiger, auch die Mieten waren viel       
            niedriger.  In manchem ging es uns besser.  

Julia:   Aber die Wohnungen waren kleiner und die Straßen schlechter.

Petra:  Es reichte uns aber. Jeder hatte sein Auskommen und jeder seine Arbeit.

Julia:   Ist das schlimm, arbeitslos zu sein?

Petra:  Na klar, du wirst nicht mehr gebraucht, und das Geld wird auch weniger.

Julia:   Aber ihr habt doch jetzt auch die Freiheit, könnt fahren, wohin ihr wollt.

Petra:  Was nützt dir die Freiheit, wenn du dir keinen Urlaub leisten kannst? Meine Waschmaschine ist kaputt  
           Meine Mutter schenkt mir von ihrer Rente zu Weihnachten eine neue. Darüber freue ich mich.

Julia:   Bist du denn mit deinem jetzigen Leben unzufrieden?

Petra:  Nein. Ich bin gesund - und Jammern und Klagen bringt ja doch nichts.