Zeitzeugenberichte - Ausbildung und Beruf -

 

Klaus 

Berufe, Veränderungen, Neubeginn

Meine erste Tätigkeit nach Ende des Studiums war die Assistentenstelle des Verkaufsleiters einer großen heimischen Webereigruppe. Offensichtlich hatte niemand eine rechte Vorstellung von meiner Tätigkeit. Zwar wurde ich zu Anfang den jeweiligen Sachbearbeitern zugeteilt, um deren Arbeit kennen zu lernen. Auf meine behutsamen Hinweise, dass man dieses oder jenes vielleicht effektiver machen könnte, wurde nicht reagiert oder wenn ja nur mit Unmut.

Nach einiger Zeit musste ich mir regelrecht Arbeit suchen, da der Chef mich an sehr langer Leine laufen ließ. Ich hatte keine Lust, als Sachbearbeiter zu enden. Meine Stimmung war nicht zum Besten. Als der Chef das merkte, bekam ich konkrete Aufgaben zugeteilt, den jährlichen Geschäftsbericht für die Geschäftsleitung zu erstellen, die Verkaufsprospekte mit Farbtabellen vorzubereiten und die jährliche Bestandsbewertung vorzunehmen. Zufriedener wurde ich erst, als das Unternehmen auf die EDV umgestellt wurde und ich diese Aufgabe innerhalb der Abteilung vorzunehmen hatte. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass diese Verkaufsabteilung ein jährliches Umsatzvolumen von etwa 50 Mio. DM erwirtschaftete und einen Personalbestand von 30 Mitarbeitern hatte.

Wenn ich die Zeit heute, Anfang 2004, beurteilen soll, muss ich sagen: unbefriedigend.

Anfang 1969 suchte ein junges, gerade gegründetes Handelsunternehmen des Computervertriebs einen Mitarbeiter mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Seine Aufgaben waren die Verkaufsunterstützung der Außendienstmitarbeiter, die Beratung der Kunden und die organisatorische Begleitung bis zum Einsatz der EDV-Systeme. Wie für mich geschaffene Aufgabengebiete. Ich bewarb mich und bekam die Stelle, Beginn 1. April 1969.

Wir waren ein junges Team, alle fast im gleichen Alter. Unser gemeinsames Ziel war es, dieses junge Unternehmen, an dem sich ein namhafter heimischer Unternehmer als Kapitalgeber beteiligt hatte, so schnell wie möglich in die Gewinnzone zu bringen. Selbstverständlich war ein Arbeitstag von 10 Stunden. Wenn es nötig war, haben wir samstags und auch sonntags gearbeitet.

Vertrieben wurden von uns Computer der mittleren Datentechnik, im wesentlichen Magnetkonten-Computer mit und ohne angeschlossener Peripheriegeräte wie Lochkartenlese- und Stanzgeräte aber auch schnelle Drucker. Zielgruppe war die mittelständische Wirtschaft aller Branchen und Größen.

Mit dem Einführen dieser Organisationsmittel war es zum ersten Mal möglich, komplexe betriebswirtschaftliche Aufgaben zu lösen, für die bis dahin ganze Abteilungen zuständig waren. Das Schreiben von Rechnungen wurde integriert mit dem gleichzeitigen Buchen der Forderung, wobei die dem Kunden zugestandene Kreditobergrenze kontrolliert wurde. Mit dem gleichen Arbeitsgang wurden die permanente Bestandsführung im Warenausgang erfasst, die Bruttoertragsrechnung pro Kunde, Artikel und Artikelgruppe vorgenommen. Den Unternehmen standen auf einmal Steuerungsinstrumente zur Verfügung, die bis dahin, wenn überhaupt, nur mühsam und mit großem Personalaufwand zu erstellen gewesen waren.

Sobald eine Anlage inklusive funktionierender Software beim Kunden eingesetzt war, gingen wir in unsere Stammkneipe, um den Erfolg zu feiern.

Doch wie mühsam und lang war der Weg bis dahin. An Standard-Software war nichts vorhanden, auf das wir hätten zurück greifen können. Alles musste organisatorisch vorbereitet und dann programmiert werden.

Junge Kollegen, nur zum Teil mit kaufmännischer Ausbildung, wurden in der Zentrale in Karlsruhe zu Programmierern ausgebildet. Diese Grundausbildung dauerte 6 Wochen. Erst danach konnten wir feststellen, wer sich mehr oder auch weniger zum Programmieren eignete. Danach eingesetzt wurden alle Ausgebildeten, denn die Kosten für Schulung, Unterbringung und Spesen waren enorm. Ohne den Kapitaleinsatz unseres stillen Gesellschafters hätten wir diese erste Phase schon nicht überstanden. Etwas erleichtert wurde diese erste Zeit dadurch, dass wir auf ein befreundetes gleichgelagertes Unternehmen in Münster zurück greifen konnten, das etwas länger existierte. Die Programmierer dort nahmen unsere Frischlinge an die Hand, um erste eigene Erfahrungen weiter zu geben. Ganz wichtig war die auch für Dritte nachvollziehbare Dokumentation der Organisations- und Programmierarbeiten. Spätere Reklamationen der Kunden wurden vermieden. Vor der Realisierung der Aufgabe wurde ein umfangreiches Pflichtenheft erstellt, dass die Aufgaben beschrieb, die organisatorische Lösung aufzeigte und das dazu nötige Formularwesen umfasste. Dieses Pflichtenheft wurde vom Kunden unterschrieben und damit als richtig bestätigt. Auch das mussten wir erst lernen.

Ich erinnere mich an die Umstellung auf EDV für einen Eisen- und Stahlhandel. Der Geschäftsführer war nebenbei auch Bürgermeister und engagierter Politiker einer Vorortgemeinde. Ein für uns wichtiger Mann und Unternehmen, das wir als Referenz gut gebrauchen konnten. Mit viel Mut und wenig Ahnung von der Branche haben wir uns an die Aufgabe gemacht. Zu Anfang wurde uns gesagt, dass für die Preisfindung der Rechnungen drei Kataloge zu wälzen seien und man sich nicht vorstellen könnte, wie dieses Problem zu lösen sei. Auch wir hatten zu Anfang keine Ahnung. Ein Pflichtenheft war nicht erstellt worden. Der Zeitaufwand für die Organisation und Programmierung war einfach nicht zu "fixieren. Und doch hatten wir uns auf einen Festpreis eingelassen. ( Diese Erfahrung war auch Auslöser, künftig nur noch Pflichtenhefte zu erstellen, um Zusatzkosten und damit zu erwartende Verluste zu vermeiden. )

Die Aufgaben waren komplexer als wir es uns vorgestellt hatten. Mit jedem Tag wuchs der Druck. Unser Kostencontrolling zeigte uns genau den Tag auf, an dem wir in die Verlustzone geraten würden. Das stachelte uns enorm an.

Als unser Kunde erkannte, dass es gar nicht voran gehen wollte, besuchte er uns, gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt, um sowohl Druck auszuüben, was sicherlich nicht nötig war, als auch auf möglichen Schadensersatz hinzuweisen. Mein Chef war zum Zeitpunkt des Gespräches nicht da, so dass ich diese sehr unangenehme Auseinandersetzung führen musste.

Fazit der Durchführung dieses Auftrages für uns war:

- mehr Zeit in die organisatorischen Vorarbeiten zu investieren

- sich diese Zeit generell bezahlen zu lassen

- ein Pflichtenheft zu erstellen und dieses vom Kunden auf Ordnungsmäßigkeit unterschreiben zulassen.

Das positive Ergebnis dieses Auftrages war aber auch, dass wir letztlich die Aufgabe gemeistert haben. Die Problemlösung erschien in der Fachzeitschrift " Groß- und Außenhandel " als vorbildlich, sie war weiterhin Thema der Diplomarbeit eines Kollegen.

Diese wurde mit sehr gut bewertet.

Viel wichtiger war, dass wir uns eine sehr gute Referenz erarbeitet hatten. Denn der Unternehmer war uns sehr wohl gesonnen. Wir durften Kunden zu Vorführungen mitbringen. Diese Problemlösung konnte von uns, bis auf kleine Modifizierungen, zusätzlich 4-mal verkauft werden. So dass dieser Auftrag letztlich sehr zur Stabilisierung des Unternehmens beigetragen hat. Oft haben wir darüber gesprochen, was passiert wäre, wenn wir zu keinem positiven Ergebnis gekommen wären. Einhellig war die Einstellung, dass dies zum Konkurs und damit zum Verlust unserer Arbeitsplätze geführt hätte.

Dass die Zeit der Nutzung von EDV-Anlagen der Mittleren Datentechnik ( MDT ) kaum mehr als 10 Jahre betragen würde, war undenkbar. Erst heute, knapp 25 Jahre später, ist die rasante Entwicklung nachvollziehbar.

Für uns Mitarbeiter und das Unternehmen begann die negative Entwicklung schleichend, kaum spürbar. Es begann damit, dass viele Unternehmen der Mechanik ( Anker, Hohner, Kienzle, Olivetti, Data General ) glaubten, EDV-Anlagen der MDT herstellen zu können und zu müssen. Niederlassungen schossen aus den Boden. Rigoros wurde Personal abgeworben. Die Unruhe in der Branche wuchs mit zunehmender Konkurrenz. Die negative Entwicklung für uns Händler war, dass die Preise für die Hardware ständig reduziert wurden und damit natürlich auch unsere Margen. Die Anforderungen der Kunden an die Qualität der Lösungen nahmen ständig zu, damit verbunden auch der Zeiteinsatz für Organisation und Programmierung. Der Markt zwang uns, innerhalb der gleichen Vertriebsorganisation, Programme auszutauschen, zu standardisieren ja selbst Personal gegenseitig auszuleihen. Grundsätzlich aus kaufmännischer Sichtweise waren diese Verhaltensweisen positiv zu werten. Sie hatten jedoch den unangenehmen Beigeschmack, ständig Teile der Selbstständigkeit aufgeben zu müssen. Hinzu kam, dass der MDT natürliche Grenzen der Anwendung gesetzt waren. Die Datenträger Magnetkonto und Lochkarte ließen nun einmal sowohl im Handling als auch im Speichervolumen nur ein begrenztes Verarbeiten von Datenvolumina zu.

Es kam was neu kommen mußte. Nicht lange dauert es, und die ersten Plattenanlagen der MDT tauchten auf. Die Vertriebsorganisation, der wir angehörten, verkaufte mehr als 50% der Nixdorf Produktpalette. Es bestand also eine erhebliche Abhängigkeit der Fa. Nixdorf. Die Reaktion war der Aufbau der eigenen Vertriebsorganisation. Die Kunden konnten von heute auf morgen die gleiche Hardware sowohl über die seit Jahren bestehende Händlerorganisation aber auch direkt bei Nixdorf kaufen. Der Unterschied bestand nur noch in der Qualität der Lösungen. Hier hatten wir zu Anfang erhebliche Wettbewerbsvorteile, die sich allerdings schnell reduzieren sollten.

Während einer Sitzung in Karlsruhe hörten wir ein Referat eines leitenden Mitarbeiters der Nixdorf Computer AG. Beiläufig erwähnte der Referent, dass ein neu entwickeltes Plattensystem auf dem Markt käme, das ausschließlich über die eigene Vertriebsorganisation angeboten würde. Begründet wurde dies mit dem Anforderungsprofil sowohl an die Hardware-Pflege und Wartung als auch an komplexe sehr zeitaufwendige Softwarelösungen, die von Händlern kaum zu erwarten wären. Was sich im Nachhinein als richtig herausgestellt hat.

Noch heute wundert mich, wie passiv auf diese Aussage seitens der Händler reagiert wurde. Der Großhändler in Karlsruhe, nicht die 25 Händler im Vertriebsgebiet BRD, muß vorab informiert gewesen sein. Die Reaktion dort war Beschwichtigung. Aber alle Händler hatten längst erkannt, dass es ohne Plattenanlagen kein Weiterkommen geben würde. Das Fazit war, sollte man sich von Nixdorf trennen?

Für mich persönlich kam die Zeit der Neuorientierung. Ich hatte nicht die Absicht, die Branche zu verlassen. Aber wie heißt es so schön: Neue Besen kehren gut. Inzwischen war eine Fülle von EDV-Vertriebsorganisationen entstanden und es war leicht, einen Job zu bekommen, zumal sich mein Verhältnis zum alten Chef sehr abgekühlt hatte.

Ein junges Unternehmen, das Plattensysteme der Fa. Wagner Computer GmbH + Co. KG Berlin vertrieb, bot sich mir an. Die Rahmenbedingungen waren die gleichen wie zu Beginn meiner vorherigen Tätigkeit. Das allein hätte mich nachdenklich stimmen müssen. Erschwerend kam hinzu, dass ich mir von heute auf morgen einen Pkw kaufen mußte. Mein Firmenwagen, den ich auch privat benutzte, war schließlich abzugeben. Die Personalausstattung des neuen Arbeitgebers genügte nicht dem Anforderungsprofil des Herstellers. Ich wurde angesprochen, ob ich nicht aus meinem Kollegenkreis diesen oder jenen zum Überlaufen ansprechen könnte. Ich Dusel habe mich darauf eingelassen. Die ganze technische Abteilung, zuständig für Wartung, Reparatur und Pflege, war bereit mit mir gemeinsam zu wechseln. Als mein alter Chef dies erfuhr, denn letztlich ging es um die Existenz seines Unternehmens, übte dieser massiv Druck auf die Mitarbeiter aus, so dass

diese geschlossen ihre Kündigung zurück zogen. Es dauerte nicht lange, und mein neuer Arbeitgeber und ich wurden als Gesamtschuldner angeklagt, Abwerbung mit dem Zweck der Geschäftsschädigung betrieben zu haben. Als Streitwert wurde festgelegt 100 T DM . Damit war der Prozess beim Landgericht anzusetzen, mit der Folge höherer Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Ein gelungener Neubeginn. Mein neuer Chef bestätigte mir, dass das Unternehmen selbstverständlich die Kosten übernehmen würde, zumal nicht mit einer Verurteilung zu rechnen sei.

Dem Prozess ging eine beträchtliche Korrespondenz voraus. Meine Kollegen waren als Zeugen aufgerufen worden. Unser Rechtsanwalt empfahl mir, jeden Kontakt zu ihnen bis zum Ende des  Prozesses zu vermeiden.

Endlich wurde der Termin am Landgericht festgelegt. Auf dem Flur traf ich sie alle wieder: meinen Chef und die Kollegen. Die Begrüßung war doch sehr zurückhaltend. Nach ein einein halb Stunden Verhandlung wurde das Urteil gesprochen: Wir wurden vom dem Vorwurf der Abwerbung mit dem Ziel der Geschäftsschädigung freigesprochen. Uns viel ein Stein vom Herzen.

Diese in wenigen Sätzen beschriebene Auseinandersetzung zog sich in der Praxis über Monate hin. Schließlich war ich eingestellt worden, um das Unternehmen mit auf die Beine zu helfen, das hieß: stramm arbeiten. Bereits nach wenigen Wochen war mir klar, dass ich einen riesigen Fehler begangen hatte. Was fand ich vor: Ein kleines Handelsunternehmen mit knapp 25 Mitarbeitern, das aus einer Auseinandersetzung der Vorgängerfirma durch Realteilung entstanden war. Bis dahin waren mechanische Fakturierautomaten verkauft worden, für die nur noch die Wartung aufrecht zu erhalten war. Geblendet von den Größenordnungen des Computergeschäftes, jeder Abschluss  inkl. Software umfasste im Regelfall ein Umsatzvolumen von ca. 150 T DM , hatte man sich entschieden, Computer zu verkaufen. Bis dahin war der Einzelumsatz pro Geschäft ca. 8 - 10 T DM , allerdings ohne wirklich qualifiziertes Personal vorhalten zu müssen.

Nach wenigen Wochen der Zugehörigkeit gelang es mir, Altkunden meines ehemaligen Arbeitgebers für uns zu gewinnen, u.a. einen großen Schulbuchverlag, eine Schokoladenfabrik und ein Wohnungsbauunternehmen. Sehr zum Verdruss  meines ehemaligen Chefs. Damit waren wir führender Händler in Deutschland. Wobei ich wenig später feststellen musste, dass außer uns nur wenige Händler existierten. Der Hersteller in Berlin warb mit diesen neuen Kunden, die gewonnen werden konnten. Eine Genugtuung für mich, aus der ich wiederum schnell herausgerissen wurde.

Das Prinzip der Finanzierung des Herstellers, im speziellen eines Herrn Wagners, bestand darin, Kommanditisten mit entsprechenden KG-Anteilen zu gewinnen. Basis war die absolute Seriosität des Hauses. Darum waren die Verkaufsabschlüsse von uns hochwillkommen. Es dauerte nicht lange, und in Wirtschaftszeitungen, u.a. im " Der Spiegel " war zu lesen, dass es offensichtlich zu Unregelmäßigkeiten von KG-Anteilen in Höhe von 120 Mio. DM gekommen sei. Wenig später war dies sofort in der Kundschaft zu spüren. Bevor wir über den Verkaufsabschluss sprechen konnten, mussten wir Minuten für Dementis aufbringen.

Auf der Industriemesse Hannover 1973, die CeBIT gab es bis dahin nur als neu gebaute Halle 1 und war Bestandteil der Gesamtmesse, war der Wagner-Stand der größte und beeindruckendste. Schließlich keine Kunst bei soviel eingeworbenen KG-Anteilen.

Die Kommanditisten waren zur Messe eingeladen worden und ich wurde von der Geschäftsleitung in Berlin händeringend gebeten, ein kurzes Statement zu halten und auf die guten Verkaufsergebnisse hinzuweisen. Was ich auch getan habe

In der täglichen Arbeit hatte uns die Wirklichkeit schnell eingeholt. Wieder einmal musste ich feststellen, das Standard-Software nicht vorhanden und wenn vorhanden nicht ausgereift war. Qualifizierte Programmierer mussten eingestellt werden. Schnell stellte sich heraus, dass die Unternehmensführung, mit diesen Aufgaben konfrontiert, völlig überfordert war. Aus Berlin war keine Hilfe zu erwarten. Die Anschuldigungen dort spitzten sich ständig weiter zu.

Nachdem uns die schriftliche Begründung des Landgerichtes vorlag, flatterte gleichzeitig die Revision vor das OLG ins Haus. Jetzt wurde es richtig teuer. Zusätzlich zum eigenen Rechtanwalt musste ein beim OLG bestellter Anwalt beauftragt werden. Zu diesem Zweck waren mehrere Reisen nach Hamm erforderlich. Der OLG-Anwalt war bezüglich des Prozessausgangs sehr viel skeptischer als unser heimischer. Sehr bedenklich äußerte er sich zur Konstruktion der Anklage als Gesamtschuldner. Wie sehr sollte er doch Recht behalten. Zum Prozesstermin waren Kläger und Beklagter anwesend. Mit ungutem Gefühl ging ich in die Verhandlung. Nach knapp einer Stunde wurde das Urteil gesprochen. Wir wurden als Gesamtschuldner verurteilt, den Schaden zu bezahlen. Wobei der Richter hervor hob, dass die Konstruktion der Gesamtschuldnerhaftung von ihm bedauert wurde, aber am Tatbestand nichts änderte.

14 Tage später meldete mein Arbeitgeber Konkurs an. Ursache war sicher nicht der Prozessausgang. Vielmehr war die Kapitalbasis, die für die Realisierung der EDV-Installationen erforderlich war, absolut unzureichend. Hinzu kam, dass der Chef kurzfristig an einem Gehirntumor erkrankte, operiert wurde, aber wenig später starb. Jetzt waren viele seiner nicht logischen Entscheidungen besser zu verstehen.

Der Rechtsanwalt in Hamm hielt sich an mich, um seine Honorarforderung zu erhalten. Sie betrug 3.500 DM. Unser Rechtsanwalt empfahl mir, mit diesem zu sprechen und auf die Situation hinzuweisen. Daraufhin wurde der Betrag auf 890 DM gesenkt und von mir bezahlt.

Was würde mein alter Arbeitgeber unternehmen? Würde er den angeblich verursachten Schaden feststellen und einklagen? Vorerst hörte ich nichts.

Die Geschäftstelle wurde als Niederlassung der Wagner Computer Vertriebs GmbH weiter geführt. Ich wurde stellvertretender NL-Leiter und Verkaufsleiter. Wir bezogen neue Geschäftsräume und konnten weitere Programmierer einstellen. Geholfen hat es nicht. Die Vorwürfe dem Herrn Wagner gegenüber, KG-Kapital unterschlagen zu haben, rissen nicht ab und erreichten auch uns. Ende Dezember 1974 war Schluss.

Wenige Tage vorher rief mich mein ehemaliger Chef an und fragte, ob ich Interesse hätte, wieder bei ihm anzufangen. Er bot mir die Stelle des Einzelprokuristen an. Hocherfreut nahm ich an. Damit war der weitere Prozess aus der Welt. Ich bekam wieder einen Firmenwagen und ein gutes Gehalt. Zu Anfang waren wir beide bemüht, kameradschaftlich zu sein und jede Auseinandersetzung zu vermeiden.

Wie schnell hatten sich die Rahmenbedingungen doch geändert. Mein alter/neuer Arbeitgeber war in größere Räume umgezogen. Neben dem EDV-Händler-Geschäft bestand ein eigenständisches Bürozentrum, das hochwertige Büromöbel, japanische Fotokopiergeräte und die ersten elektronischen Taschenrechner verkaufte. Die Verkaufs- und Ausstellungsräume waren repräsentativ. Es wurde ein Personalbestand von 10 Leuten vorgehalten. Mein Chef und sein neuer Teilhaber waren oft in Japan. Auf mir blieb die ganze Verwaltungsarbeit hängen, was nicht unbedingt zur Motivationsförderung beitrug. Zumal ich schnell feststellte, dass zur Vor- und Zwischenfinanzierung des Bürozentrums fleißig das Konto des Händlerbetriebes in Anspruch genommen wurde. Geld, das uns später dringend fehlte. Auf meinen Einspruch wurde eine strenge Kosten- und Umsatzabgrenzung vorgenommen.

Unser Händlergeschäft lief schleppend. Die ganze neue Produktpalette, im speziellen Plattensysteme, der Nixdorf Computer AG wurde nur noch ausschließlich über die Nixdorf Vertriebsorganisation verkauft. Uns blieb der Rest. Auf Dauer zu wenig, um zu überleben.

In vielen Gesprächen und Tagungen in Karlsruhe und in Hannover, während der Messe, wurde gemeinsam überlegt, wie kommen wir aus dieser Miesere. Ein kleines Unternehmen aus Süddeutschland, das Plattensysteme herstellte bot sich an. Eine Alternative gab es nicht. Wir, die komplette Händlerorganisation, haben den Vertrieb übernommen. Wieder mussten die Programmierer neu geschult werden.

Schnell stellte sich heraus, dass sowohl System- als auch Grundstandard-Software fehlte.

Hektisch wurde gearbeitet. Mit jedem Monat kamen wir unserem Kreditlimit näher. Die Bezahlung von Lieferanten-Rechnungen wurde schleppend. Selbst der Haupthändler in Karlsruhe wollte nicht mehr liefern, ohne dass Wechsel unterschrieben wurden. Mein Chef war immer nicht da, wenn er am dringendsten gebraucht wurde. Am 25. Mai 1976 haben wir den Konkurs anmelden müssen, nicht so das Bürozentrum. Wobei ich erwähnen muss, dass wir bereits 2 Monate kein Gehalt bekommen hatten. Da wenig vorher das Konkursausfallgeld beschlossen war, wurden die Gehälter vom Arbeitsamt bezahlt. Die Stimmung zwischen unseren Mitarbeitern und denen des Bürozentrums war gereizt. Sie saßen in der 1. Etage und wir in der 2. Etage, kein Zustand.

Ich wurde gebeten, die Auffanggesellschaft zu leiten und mit drei Mitarbeitern weiter zu machen. Die restliche Mannschaft wurde entlassen. Bereits im Juli übernahm ein Händler in Dortmund die Niederlassung und ich trat ins Glied zurück. Ende Dezember sollte es mich persönlich erwischen.

Vertrieb und Verwaltung des neuen Händlers waren in Dortmund. Dort bestand eine über Jahre gewachsene eingespielte Mannschaft, in der wir nur störten. Anfang November 1976 kam mein neuer Chef mit einem Mitarbeiter, und teilte mir mit, das die Betreuung ausschließlich von Dortmund aus erfolgte. Ich wurde mit Wirkung zum 31. Dezember 1976 entlassen, wie in der Branche üblich bis zum Ende des Termins von jeder Tätigkeit freigestellt.

Die technischen Mitarbeiter verblieben in der Geschäftsstelle bis zum frühestmöglichen Kündigungstermin der Geschäftsräume und arbeiteten danach von zu Hause aus, wurden aber von Dortmund aus disponiert. Unser eigenes Team zerstob in alle Winde, verteilte sich zum Teil über ganz Deutschland.

Nachdem die Kündigung ausgesprochen war, habe ich mich sofort an das Arbeitsamt gewandt. Dieses lag mitten in der Stadt in einem hässlichen kasernenähnlichen Gebäude. In der dritten Etage war die Vermittlung von Führungspersonal. Die Ausstattung war gepflegt, die Zimmer mit Teppichboden ausgelegt. Die Behandlung war freundlich. Es wurde eine positive Stimmung vermittelt und zugesichert, dass in bundesweit verbreiteten Anzeigen einer speziellen Zeitschrift der Arbeitsämter schnell etwas Vergleichbares zu finden sei. Danach bat mich der Mitarbeiter zur Leistungsermittlung des Arbeitslosengeldes in die Kelleretage zu gehen.

Der Gegensatz hätte nicht größer sein können. Der Keller war beleuchtet. Es roch ungelüftet. Der Boden war ausgelegt mit PVC. An den Wänden standen lange Bänke, die alle voll besetzt waren. Alle Schichten der Bevölkerung warteten offensichtlich. Ich zog eine Nummer und setzte mich, völlig frustriert , neben einen anderen Arbeitslosen, dem Aussehen nach Maurer. Meine Nummer wurde aufgerufen. Ein junger Mann nahm die nötigen Daten auf, fragte nach meiner Bankverbindung und nannte mir die Höhe meines Arbeitslosengeldes. Obwohl ich seit Jahren gut verdient hatte, und immer wieder davon gesprochen wurde, dass 68% des Bruttogehaltes als Arbeitslosengeld bezahlt würden, trifft dies in Praxis nur bis zur Bemessungsgrenze zu. Diese lag erheblich unter meinem letzten Gehalt.

Das Gespräch mit dem Sachbearbeiter hatte höchstens 3 Minuten gedauert, die reine Massenabfertigung. Ich stand auf der Straße. Sofort kam ein mir völlig fremdes Gefühl auf. Alle Leute wissen, du bist arbeitslos und gehörst nicht mehr dazu. Wobei mein Gefühl, zu wem oder was zu gehören sehr nebulös war. Meine Stimmung war besch....!

In diesen Dezembertagen, mein Gehalt bekam ich ja noch, habe ich eine Fülle von Bewerbungen geschrieben, alle für Tätigkeiten außerhalb des EDV-Vertriebs. Obwohl mich das letzte Halbjahr 1976 immer wieder die Geschäftsleitung eines großen amerikanischen Nähmaschinen- und EDV-Konzern anrief, um mir die Stelle des Niederlassungsleiters in Dortmund anzubieten. Einmal war in Dortmund. Das Umfeld war schon beeindruckend. Aber meine Frau war nicht zu bewegen, in das Ruhrgebiet zu ziehen. Auch ich hatte wenig Neigung und wollte mit der Branche nichts mehr zu tun haben, zum Glück. Auch dieser Hersteller zog sich aus dem EDV-Bereich zurück. Nur ein Jahr später wurde die Geschäftsstelle in Dortmund geschlossen. Ich stand auf der Straße, mit 37 Jahren, was tun?

Aufgezeichnet im Januar 2004