Die Währungsreform 1948           Erlebnisbericht

Seit März 1946 lebte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester als Ostvertriebener aus Breslau in Grafeld, einem niedersächsischen Dorf zwischen Osnabrück und Oldenburg. Wir wohnten bei einem Bauern in einem 18 qm großen Zimmer mit 4 Personen. Es ging uns den Umständen entsprechend gut, weil wir durch Arbeit in der Landwirtschaft uns Nahrungsmittel verdienen konnten. Daneben gab es monatlich Lebensmittelkarten, deren Rationen von 1946 bis Anfang 1948 immer spärlicher wurden. Bargeld, die sog. Reichsmark, hatten wir ausreichend. Leider war es nicht viel wert. Neben dem Altgeld aus dem Dritten Reich gab es noch das Alliierte Militärgeld der Serie 1944, das aber auch nicht mehr wert war. Die hohen Schwarzmarktpreise (1 Zigarette oder 1 Ei: 5 Reichsmark, 1 Pfund Butter oder ein Pfund Speck etwa 250 Reichsmark, 1 Herrenanzug oder 1 Fahrrad etwa 2000 Reichsmark) konnten wir ohnehin nicht bezahlen. Sie galten mehr in den zertrümmerten Großstädten des Ruhrgebietes. Bei uns auf dem Lande galt die sog. „Speckwährung“, d. h. der Tausch von Waren gegen Lebensmittel durch die sog. „Hamsterer“, die aus den Städten in Scharen über die Dörfer zogen. Bis Januar 1948 gab es für uns „Flüchtlinge“ monatlich 50 g Fett auf Lebensmittelkarten. Die Bauern hatten andere „Marken“ für sog. „Selbstversorger“. Der Versorgungs-Tiefststand wurde im Februar 1948 erreicht, als es gar keine Fettzuteilung mehr gab und statt dessen Maisbrot und 500 g braunen Roh-Rohrzucker im Monat. Soweit die Vorgeschichte.

Die Zeit wurde reif für eine Währungsreform. Sie wurde zwar langfristig vorbereitet, aber ziemlich kurzfristig in den Zeitungen angekündigt (so um den 10. bis 15. Juni 1948). Wahrscheinlich sollten irgendwelche Panikkäufe vermieden werden, soweit es überhaupt etwas zu kaufen gab. Im folgenden gebe ich hier einige Tagebuchaufzeichnungen auszugsweise wieder, die ich damals als 14jähriger gemacht habe. 

Dann kam für Deutschland der große Tag X: 

Sonnabend, den 19. Juni 1948 

Heute war der letzte Gültigkeitstag der alten Reichsmark. Am Abend stand in der Zeitung bereits das neue Geld abgedruckt. Morgen sollte es umgetauscht werden.                                                    

Sonntag, den 20. Juni 1948  

Jeder mußte 60 RM Altgeld einliefern. Dafür bekam er dann 40 Deutsche Mark in verschiedenen Geldsorten. Die restlichen 20 DM sollten etwa einen Monat später ausgegeben werden. Für Sparguthaben, Schulden usw. plante man eine Aufwertung im Verhältnis 10 zu 1. Am Nachmittag brachte Vater das neue Geld. Interessiert betrachteten wir die druckfrischen Scheine. Sie waren bunt wie Bilderbücher. Sie waren ja auch in Amerika gedruckt worden und sahen dem Alliierten Militärgeld ganz ähnlich. Ab morgen erhielt das neue Geld Gültigkeit. In Ermangelung von Kleingeld galten die alten Markscheine noch 10 Pfennig. - 

Gar bald zeigten sich die Folgen: Außer den Lebensmitteln und Textilien wurden sämtliche Waren bezugsscheinfrei. Auf einmal wurden die Schaufenster voll, eher, als Bestellungen bei den Fabriken hätten beliefert werden können, sozusagen über Nacht. Aber auch auf Marken gab es immer mehr zu kaufen. Eier waren sogar frei; es gab 8 Stück für 1 DM. Bald zeigten die Textilwarengeschäfte kein Interesse mehr an den Punktkarten. Aber die Lebensmittelmarken sollten uns noch 1 ½ Jahre begleiten. Soweit die Währungsreform und ihre Wirkungen, als wir sie erlebten. - 

Heute wissen wir, daß sie das Ende des Hungers bedeutete, das Absterben des  Hamstertums und des Schwarzhandels. Einbrüche und Raubüberfälle auf Bauernhäuser verringerten sich zusehends. Die Überfüllung der Züge hörte auf. Langsam lernte man wieder Kultur und Zivilisation kennen. Wenn auch noch kein Friedensvertrag abgeschlossen war, so wurden doch die wirtschaftlichen Zustände nach und nach wieder friedensmäßig. Und das verdankten wir dem Amerikaner George Marshall in erster Linie. Der Marshallplan rettete nicht nur Deutschland, sondern auch Europa vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. - 

Schon kam der September. Die alten Reichsmarkscheine hatte man eingezogen. Dafür gab man neues Kleingeld heraus. Wahrscheinlich fehlte zum Münzenprägen noch das nötige Metall. So tauchten kleine 5- und 10-Pfennig-Scheine auf, die man in eine Ecke des Portemonnaies stopfte und die sich bald in einem furcht- 

baren Zustand befanden. Fast ein Jahr dauerte es, bis sie endlich durch die ersten Münzen abgelöst wurden. -  

Soweit meine Tagebucheintragungen. Die vorletzten Lebensmittelmarken E 135 gab es im Februar 1950 für Weizenbrot, Butter, Fett, Fleisch und Zucker. Die letzte Lebensmittelkarte N 136-137 für März-April 1950 enthielt nur noch Abschnitte für Zucker. Aber die wurden längst nicht mehr benötigt. Es gab jetzt alles für die Deutsche Mark. Sie war die Wegbereiterin in eine neue, bessere Zukunft. Unser Leben hat sie entscheidend verändert und uns über ein halbes Jahrhundert begleitet.