Zeitzeugenberichte   - Kriegs- und Nachkriegszeit -   

 

Josef

 

ERKLÄRUNGSVERSUCHE

Im Juli 1944 erhielten wir die offizielle Nachricht, dass mein Vater an der Ostfront den Heldentod für das Vaterland gestorben sei. Wenige Tage, bevor diese Nachricht uns erreichte, war meine Mutter von Hameln zurückgekehrt, wo sie unter schwierigen Kriegsbedingungen meinen Vater schwer verwundet in einer Mittelschule, die zum Notlazarett umfunktioniert worden war, außer Lebensgefahr gefunden hatte. Die Nachricht von seiner Verwundung, einem Oberschenkeldurchschuss, die von seinem Bettnachbarn auf den Weg gebracht werden konnte, hatte uns per Post noch so rechtzeitig erreicht, dass die Todesnachricht, obwohl sie mit Unterschrift und Siegel versehen war, von uns schnell als Irrtum abgetan werden konnte.

Im Dezember 1944 hielten die Sanitätsärzte den Heilungsprozess seines Beines für abgeschlossen. Er konnte wenige Tage Genesungsurlaub bei seiner Familie verbringen, bevor er sich wieder bei seiner Einheit melden musste, um dort den Einsatzbefehl für seinen weiteren Kriegseinsatz entgegenzunehmen. Wir erfuhren per Feldpostbrief, dass er als Grenadier an der Ostfront in der Nähe von Küstrin an der Oder eingesetzt sei. Wie schlimm und verlustreich die Kämpfe um die Seelower Höhen in den ersten Monaten des Jahres 1945 verlaufen sind, erfuhren wir viel später von Soldaten dieses Abschnitts, die nach der Kapitulation nach Hause kommen konnten. Wir hatten keinerlei Informationsmöglichkeiten, nicht einmal einen Volksempfänger, so dass wir uns von dem Ausmaß der Menschenvernichtung keine Vorstellung machen konnten. Wir bekamen noch zwei Feldpostbriefe, geschrieben in Erdlöchern – damit entschuldigte mein Vater seine schwer leserliche Schrift. Er schrieb vom baldigen Ende des Krieges und dass wir – er an der Front und wir, alleingelassen in Bomben und Entbehrung – aushalten und stark sein müssten und dass Gott uns wieder zusammenführen möge.

Im März 1945 erhielten wir den Brief seines Kompaniechefs, der uns mitteilte, dass sein guter Kamerad, „Ihr Mann und Vater", von Granatsplittern tödlich getroffen worden sei, dass er auf dem Heldenfriedhof in Sachsendorf beigesetzt worden sei. Dem Brief fehlte jeder offizielle Charakter, er trug weder Stempel noch war er erkennbar befugt unterzeichnet. Der im Brief versprochene Nachlass ist nie angekommen. Meine Mutter und die Eltern und Geschwister meines Vaters brachten es nicht fertig, die private Nachricht zu ignorieren, schon der eingepflanzte Gedanke, die immer schon gehegte Befürchtung, der Ehemann, Vater, Sohn und Bruder würde den Krieg nicht überleben, sei hier ausgesprochen als Realität dargestellt, ließ sich nicht vertreiben. Nach wenigen Tagen wurde uns die Todesurkunde ausgehändigt. Meine Mutter war Witwe, wir Kinder galten als Kriegswaisen.

Und doch folgte über Jahre eine Zeit des Zweifelns und des inneren Zwiespalts: War die Wahrscheinlichkeit des Irrtums gegen Ende des Krieges in einem militärischen Hexenkessel – der uns von heimkehrenden Soldaten nachträglich viel deutlicher vor Augen geführt werden konnte – nicht viel größer, dass eine Verwechslung zu dem ohnehin inoffiziellen Brief geführt hatte? Wies uns nicht die erste Todesnachricht, die so schnell als Irrtum erkannt werden konnte, auf die gar nicht unmögliche Falschmeldung hin? Wer konnte uns helfen? Andererseits: Gerade der persönliche, nicht offizielle Brief ließ eine Glaubwürdigkeit erkennen, die nicht überlesen werden konnte. Der Granatsplitter, der meinen Vater tödlich getroffen haben sollte, konnte im Vergleich zu den Berichten heimgekehrter Soldaten fast noch als humane Todesursache bezeichnet werden. Und was könnte mit ihm geschehen sein, wenn er mit dem Leben davon gekommen wäre? Als Antwort auf diese Frage war bei uns der Begriff „Sibirien" geläufig, mit dem Kälte, Hunger, unmenschliche Arbeit und tödliche Entbehrungen gemeint war. Diese Gedanken verfingen, wenn um uns herum Ruhe eingekehrt war, wir z. B. das Nötigste zum Leben hatten, vielleicht für mehrere Tage im Voraus. Verzweifeltes Warten setzte dann wieder ein, wenn die Not uns packte und – vor allem – wenn von Spätheimkehrern berichtet wurde und Zahlen genannt wurden von Kriegsgefangenen, die noch in Sibirien festgehalten würden.

Wir wohnten im Grenzbereich einer Bauerschaft, in der es nur Katholiken gab. Nur wenige hundert Meter von uns getrennt lebten „Evangelische" in einer Nachbargemeinde. Es gab nur wenig Kontakte. Ich kann mich erinnern, meine Mutter um die Erlaubnis gebeten zu haben, die notwendig gewordenen Holzschuhe bei einem viel näher gelegenen Holzschuhmacher bestellen zu dürfen. Wir schnitten ein Holzstöckchen auf die Länge der jeweiligen Fußgröße und brachten das zur Schuhmacherwerkstatt. Die Holzschuhe für katholische Füße mussten vom katholischen Holzschuhmacher angefertigt werden. Der näher gelegene Handwerker war aber evangelisch. Nach vielen vergeblichen Erklärungsversuchen dieses tradierten Verhaltens gab meine Mutter auf. Der evangelische Holzschuhmacher war ein sehr kinderlieber Mann, und so kam ich zu meinem ersten Berufswunsch und machte bei ihm erste praktische Übungen. Wir gingen pflichtgetreu jeden Sonntag einen fünf Kilometer weiten Weg zum Gottesdienst, wenn jemand auf meine kleine Schwester aufpassen konnte, mit Mutter und älterer Schwester. Nach Beginn der Schulpflicht wurden wir am Sonntagnachmittag zur Christenlehre geschickt, eine Veranstaltung für alle schulpflichtigen Kinder, die natürlich wieder einen zehn Kilometer langen Weg zu Fuß erforderlich machte. So lernte ich, dass Gottes Wille unser Leben bestimmt. Hat er auch über das Leben meines Vaters verfügt?

Unser Abendgebet endete über Jahre gleichförmig: Lieber Gott, bewahre unsern Papa vor zu schwerem Leid und lass ihn zu uns nach Hause kommen, wenn er noch lebt! Er schickte ihn nicht nach Hause, und wir erfuhren von ihm auch nicht, ob er noch lebte. Wir beteten auch täglich im Vaterunser: Herr, dein Wille geschehe! Unwillig und widerstrebend musste ich dieses Gebet akzeptieren, was blieb mir denn anderes übrig. Aber ich hatte mir eine Strafe ausgedacht für sein Geschehen, das mir so weh tat: Ich strich das Wort lieb in der üblichen Anrede. So wurde Gott für mich der Gewaltige, der Herrscher, der machen kann, was er will. Aber die Frage ließ mir keine Ruhe: Was will er denn eigentlich? In der Christenlehre bekam ich keine Antwort.

In einem Gottesdienst sang die zahlreich versammelte Gemeinde mit großem Stimmaufwand: Hier liegt vor Deiner Majestät im Staub die Christenschar. Ich saß auf der Frauenseite neben meiner Mutter im hinteren Viertel der Kirche. Ich konnte auf der rechten Seite, der Männerseite, die männlichen Nachbarn und Bekannten beobachten, die kräftig mitsangen. Ich beschäftigte mich damit, mir vorzustellen, wie die gestandenen Männer flach im Mittelgang auf dem Bauch im Staub vor seiner Majestät lägen. Mir gefiel diese Vorstellung besonders, weil ich den großen und schweren Bauern aus unserer Nachbarschaft sah. Mein Vater hatte seinen Hof in den Kriegsjahren bis Ende des Jahres 1943 nach Feierabend versorgt, und ich durfte für gewöhnlich mit und meinem Vater helfen, wie er das nannte. Wir arbeiteten viel mit den beiden Pferden des Hofes, und ich durfte wirklich da, wo es ging, die Leine halten. Mein Vater trieb manchmal die Pferde an, ließ aber auch Ruhepausen zu, wenn er einsah, dass die Tiere sie nötig hatten. Jetzt war mein Vater tot, der Bauer aus dem Krieg zurückgekehrt. Ich hatte mit Schrecken beobachtet und verglichen, wie er jetzt wirtschaftete und mit seinen Pferden umging. Ich war erschrocken und angewidert weggegangen, als er auf sie einschlug, dass sie laut aufstöhnten. Das konnte ich ihm nicht vergessen, und ich sah ihn mit Genugtuung auf dem Bauch im Staub der Kirche liegen und war glücklich, dass es eine Majestät gab, die ihm das Handwerk legten konnte.

Der Schreck ließ nicht lange auf sich warten. Was hatte mein Vater getan, dass seine Majestät ihn von einem Granatsplitter treffen ließ? Diese Frage bohrte und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich wollte ihn als lieben Papa in Erinnerung behalten, der er auch für mich war. Sollte es etwas geben, von dem ich nichts wusste, das ihn zu einem Menschen machte, der so hart bestraft werden musste? Wie sehr ich auch forschte, es fiel mir nichts Schwerwiegendes ein, meine Mutter wollte ich nicht fragen, weil ich befürchtete, dass sie anfinge zu weinen. Sie würde mir so Schlimmes auch sicher nicht sagen. Es müsste sich ja um sehr viel Schlimmeres Handeln als zum Beispiel Pferde so zu schlagen, dass sie laut aufstöhnten, denn der Bauer war ja nicht von seiner Majestät bestraft worden, jedenfalls nicht mit dem Tod. Ich kam aus dieser Bedrängnis nicht heraus. Sie verschlimmerte sich noch, als ich wenige Tage später wieder beobachten musste, dass der Bauer seine Pferde maßlos schlug. Er hatte nun doch wirklich lautstark singend seine Majestät anerkannt und musste deshalb doch wissen, dass er als Untertan sich nicht zum Herrscher machen durfte in Dingen, die andere betrafen. Warum ließ seine Majestät ihn das nicht begreifen?

Ich konnte seine Majestät nicht begreifen und ließ mich deshalb gern ablenken auf einen ganz anderen Erklärungsversuch, auf einen, den man auf den ersten Blick leicht verstand, weil er handgreiflich war. Meine Mutter sagte in meinem Beisein zu Verwandten, die zu Besuch waren: Der Heuer hat doch mitgeholfen, dass Konrad nicht zurückgekommen ist. Dieser Satz wäre mir nicht so aufgefallen, wenn nicht neben dem ungeheuren Inhalt auch seine Form ungewöhnlich gewesen wäre. Jemanden nur mit dem Hausnamen zu benennen, bedeutete geringe Wertschätzung, sogar Verachtung. Ich kannte den Onkel Heuer, war schon öfter bei denen zu Hause gewesen, weil der älteste Sohn mit mir in einer Klasse der Volksschule war. Zudem war meines Wissens Frau Heuer eine Cousine meines Vaters. Wir wären zurechtgewiesen worden, wenn wir die Eltern nicht mit Onkel oder Tante, mit Herr oder Frau betitelt hätten. Und meine Mutter, die so auf diese Etikette achtete, sprach von dem Heuer, der den Tod meines Vaters mit verschuldet hätte. Das ließ mich im doppelten Sinn aufhorchen.

Herr Heuer war Postbeamter, und deshalb kannte man ihn in Uniform. Eigentlich trugen alle Männer vor Kriegsende Uniformen, sie waren normalerweise farblich unscheinbar grau, grün oder dunkelblau. Mir fiel ein, Herrn Heuer in einer auffallend hellen, gelb-braunen Uniform gesehen zu haben. Von meiner Mutter erfuhr ich, dass ihre Träger zur SS gehörten, einer besonderen Gruppe von Männern, die den Krieg angezettelt und räumlich und zeitlich ausgedehnt hätten, dass Tausende von Soldaten umgekommen seien, eben auch unser Vater. Mir war überhaupt nicht klar, wie ein Mann wie der Heuer – ich dachte und sprach von ihm jetzt auch ohne jeden Titel – einen so gewaltigen Krieg beginnen und ausdehnen konnte, und mein Fragen wurde beantwortet, dass es viele dieser Männer gegeben habe, die ihren Führer bejubelt und unterstützt hätten, der Führer habe den Krieg angefangen und so weit ausgedehnt. Also war der Führer der eigentlich Schuldige. Und der Heuer sollte auch schuldig sein, weil er dem Führer gefolgt war? In der Christenlehre forderte man von uns Gehorsam und Ehrerbietung unseren Eltern , den Lehrern, Pastoren, allen älteren Menschen gegenüber. Wir Jungen machten bei ihrer Begrüßung einen Diener, die Mädchen einen Knicks. Es gab demnach höher gestellte Persönlichkeiten, denen gegenüber Ehrerbietung und Gehorsam schuldig machte. Wer nannte uns denn die Unterscheidungsmerkmale? Hatte sie mein Vater gekannt, als er den Krieg des Führers mit seinem Leben unterstützte? Meine Mutter sagte, er sei gezwungen worden und hätte widerwillig dem Befehl des Führers Folge geleistet. Der Heuer hatte das anscheinend gern getan und vielleicht seinen Spaß daran gehabt, der Sadist und Menschenverächter!

Mein Klassenkamerad, Heuers ältester Sohn, war stärker als ich. Ich musste mir bei Streitfällen immer etwas einfallen lassen, was mich stärker oder ihn schwächer erscheinen ließ - später nannten wir das die psychologische Strategie – rein physisch war da nichts zu machen. Ich hatte einen neuen Trumpf in der Hand, ich konnte seinen Vater als SS-Mann beschimpfen. Die Taktik war überaus erfolgreich, jedenfalls zog sich der so geschwächte Gegner augenblicklich zurück. Am Nachmittag, gleich nach der Schule, sprach Heuer bei uns vor. Als meine erstaunte Mutter den Grund seines Kommens erfahren hatte, bat sie den Gast ins Wohnzimmer, schloss hinter sich die Tür. Wir Kinder blieben zurück in der Küche. Was genau gesprochen wurde, weiß ich nicht. Meine Mutter war nachher ungewöhnlich wortkarg. Sie machte mir keine Vorwürfe, nannte kleinlaut als Resümee des Gesprächs die Notwendigkeit des Vergessens. Wir Kinder spielten weiter miteinander, besuchten uns wie eh und je. Und dennoch blieb für mich eine große Frage bestehen: Wie steht es mit der Pflicht zum Gehorsam?

Ich konnte mich noch dunkel erinnern, dass mein Vater Ende 1943 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Die Abschiedsszenen ließen keinen Zweifel: Er ging, weil er gehen musste. Er hasste und verabscheute den Krieg. Er wäre so gern zu Hause geblieben, auch bei seinen doppelten oder gar dreifachen Pflichten: als Facharbeiter in einer Fabrik, die im Krieg Munition herstellen musste, als Verwalter des Nachbarhofes in Vertretung des von Anfang des Krieges an zum Militär eingezogenen Bauern und nicht zuletzt als Familienvater und Verantwortlicher für Haus und Hof. Von Unterstützung und Bewundern des Führers konnte keine Rede sein. Und doch hätte ich mir gewünscht, er hätte energischer und selbstbewusster sein können. Schriftliche Bescheide genügten, und er ging, wohin immer er beordert wurde. Er ging gegen seine Überzeugung mit Abscheu und Widerwillen jammernd und heulend, er folgte den Anweisungen, die anonym waren und deren Sinn fragwürdig, er ging.

Dieses schwelende Unbehagen in mir nahm bedrohliche Formen an, als ich – wieder einmal – Zeuge eines Gesprächs wurde. Wir hatten eigenartigen Besuch, ich kannte den alten, etwas verlotterten Mann nur flüchtig. Ihm gehörte der größte Hof weit und breit. Er war aber keineswegs stolz oder überheblich, eher ein weiser erfahrener Greis, der den Dingen ihren Lauf ließ. Er kam zu uns, so erfuhr ich, weil er seine Trauer ausdrücken wollte darüber, dass der Konrad nicht zurückgekommen ist. Er kannte meinen Vater wohl seit langer Zeit, sie hätten viel miteinander berissen in der Zeit, als mein Vater auf dem Hof S. arbeitete und er sich um die Tochter des Hofbesitzers bemühte. Er erkundigte sich sehr interessiert nach den Umständen des Todes, bekam bereitwillig ausführliche Antworten von meiner Mutter: Konrad sei über einige Tage kurz vor Weihnachten 1944 noch zu Hause gewesen, er sei dann wenige Wochen nach seinem erneuten Einsatz im Osten bei Küstrin gefallen. Der alte Mann memorierte: Weihnachten noch zu Hause, Februar gefallen kurz vor Ende des Krieges......

Er nahm sich Zeit, ehe er zu seiner Kommentierung ansetzte: Das hätte Konrad doch wissen müssen an Weihnachten 44, dass der Krieg nicht mehr lange dauern konnte. Er hätte sich gar nicht mehr stellen dürfen. Er hätte sich doch verstecken können. Und als ob ihn dieser Gedanke zu ausführlicheren Phantasien hingerissen hätte: Er kannte sich doch in unseren Wäldern und Wiesen aus. In einer der Viehhütten hätte er abwarten können. Er stoppte seinen Redefluss, als er an unseren Gesichtern merkte, dass er keine Begeisterung für seine Ausführungen erwarten konnte.

Als ob ich es geahnt hätte.... Er hätte also doch etwas tun können für sich und für uns, wenn er – ich wagte es beinahe nicht zu denken – wenn er nicht zu dumm oder zu feige gewesen wäre. Ich schämte mich für meinen verstorbenen Vater. Und in meiner Traurigkeit und Scham malte ich mir die Notwendigkeiten aus, die sein Versteck ganz sicher und unauffindbar und warm gemacht hätten. Gern wäre ich der Essenträger gewesen, über immer neue Wege wäre ich zum Versteck geschlichen, damit nichts herausgekommen wäre usw.

Wer hat den viel zu frühen und unsinnigen Tod meines Vaters zu verantworten: Gott? Die Nazis? Er selbst? Mein Fragen half nicht über den Tatbestand hinweg, dass wir eine vaterlose Familie waren und uns als eine solche bewähren mussten. Eine eindeutige Antwort hätte sicher dieses Bemühen erleichtert. Eines haben wir erreicht: Jahrzehnte nach seinem Tod konnten wir sein Grab ausfindig machen. Wie sein Kompaniechef geschrieben hatte, gibt es auf dem Dorffriedhof von Sachsendorf einen Bezirk mit etwa achtzig Soldatengräbern. Im dunklen Keller des Pfarrhauses – der Friedhof stand unter kirchlicher Verwaltung – fanden wir Listen mit den Namen der dort beerdigten gefallenen Soldaten. Unter dem Datum 14.02.45 fanden wir den Namen unseres Vaters, der Schreiber der Todesnachricht hatte uns den 12.02.45 als Todesdatum genannt. Zwischen den kleinen Ortschaften Rathstock und Reitwein diesseits der Oder fanden wir noch die alten Unterstände und Erdlöcher, die möglicher Weise mit der Hilfe meines Vaters gebaut wurden und die ihm zum Verhängnis wurden. Der Kampf der sowjetischen Armee auf dem Weg nach Berlin ist geschichtlich genau erforscht. Wir wissen, dass am 12.02.45 noch kein russischer Soldat die Oder überquert hatte. Dieser Tatbestand dient uns als kleiner Trost insofern, als meinem Vater das später einsetzende Gemetzel erspart geblieben ist.

Die eigentlich großen Fragen haben bis heute keine Antworten gefunden.