Zeitzeugenberichte   - Kriegs- und Nachkriegszeit -

 

Friederike

 

 

Meine Mutter, die Rolle der Frau nach 1945

Wenn ich über die Rolle der Frau nach 1945 berichte, kann ich es nur an dem Beispiel meiner Mutter darstellen. Um über ihre Fähigkeiten und Schwierigkeiten, die sie zu bewältigen hatte, zu berichten ,möchte ich aus ihrem Leben vor 1945 etwas erzählen, denn alles Erleben und Entscheiden nach dem Zusammenbruch wurde nur möglich durch ihre Vorgeschichte.

Meine Mutter stammte aus einer alten Adelsfamilie Sie wurde 1901 in Brieg /Schlesien geboren. .Mit 1 ½ Jahren verlor sie die Mutter und mit 12 Jahren den Vater .Sie wurde von der Großmutter erzogen ,die sie im Alter von 19 Jahren durch Tod verlor .Ein Onkel, der ein Rittergut besaß bekam die Vormundschaft und nahm sie auf seinem Gut auf .Sie war dort Tochter des Hauses und wurde mit allen Arbeiten eines Gutshaushaltes vertraut gemacht.

Von 1925 warb der juristische Referendar Werner Schönfeld um die Hand meiner Mutter, aber erst nachdem mein Vater am 12.5.1930 zum Amtsgerichtsrat ernannt worden ist, heirateten meine Eltern im November 1931 in Tharandt. 1932, 1934 und 1935 wurden 1 Mädchen und 2 Jungen geboren .Mutter tritt im März 1933 der NSDAP und Vater im April 1933 der NSDAP und dem Allgemeinen Richterbund bei. Vater macht Karriere und wird im Sommer 1938 an das Oberlandesgericht nach Jena/Thüringen versetzt. Er mietete eine 7 -Zimmer-Wohnung in einer Villengegend und ermöglicht seiner Ehefrau ein sorgenloses Leben. Für die Versorgung des Haushaltes und der Kinder wird Personal eingestellt. Als ich im Febr. 1939 geboren wurde, kam eine Kinderschwester ,die mich versorgte..

Als der Krieg am 1.9.1939 ausbrach meldete sich mein Vater selbst in den Krieg .und war hauptsächlich an der Westfront eingesetzt. Am 7.3.1945 ist unser Vater in Porz-Langel gefallen. Sein Bursche überbrachte noch in den Märztagen die Nachricht. Das bedeutete für uns und besonders meine Mutter den totalen Zusammenbruch. Bis zum Juli 1945 bekam meine Mutter noch das Gehalt meines Vaters, dann ging der Überlebenskampf los .Wovon sollten alle in der Familie ernährt werden? Meine Mutter besuchte öfters einen Bauern in Großschwabhausen. Diesen brachte sie Stiefel und Kleidung meines Vaters, Meißner Geschirr und Silbergegenstände und erhielt dafür Brot ,Kartoffeln, Rüben oder andere Lebensmittel. Sie wurde entnazifiziert und musste Strafarbeit leisten. Das Personal war weggelaufen oder konnte nicht mehr bezahlt werden. Wir Kinder hatten immer Hunger und zankten uns untereinander um Esswaren .Nachbarn hatten mit uns Mitleid und sammelten für uns Kartoffelschalen, woraus Knäckebrot gebacken wurde. Meine Mutter war immer froh, wenn wir irgendwo zu einem warmen Essen eingeladen wurden. Als die Amerikaner vorübergehend Thüringen besetzt hatten, zeigten sich diese besonders gegenüber uns Kindern sehr spendabel. Meine Mutter, die nie einen Beruf erlernt hatte, suchte eine Arbeit, dabei hat ihr unser Gemeindepfarrer geholfen. 1947 übernahm meine Mutter die Leitung der Bahnhofsmission in Jena/ West. Sie hatte Früh und Spätschicht, was sich auf die Versorgung der Kinder nicht gerade vorteilhaft auswirkte .Die Frühschicht begann morgens um 6 Uhr und endete um 14 Uhr, die Spätschicht dauerte von 14 bis 22 Uhr. Für meine Mutter wurde diese Aufgabe zu ihrer Lebensaufgabe, die sie bis 1956 ausübte, dann wurden die Bahnhofsmissionen geschlossen. Meine Mutter bekam in der SBZ - sowjetische Besatzungszone - und späteren DDR keine Pension, Rente oder dergleichen .Sie verdiente monatlich 1o8,- Mark und bekam für jedes Kind 10,- Kindergeld .Dieses Geld reichte nicht zum Lebensunterhalt .Wir bekamen viele Carepakete und Pakete von Verwandten aus dem Westen Durch die Kirche erfuhren fremde Menschen von unserer Notlage und schickten ebenfalls Pakete. Ohne diese Unterstützungen hätten wir sicherlich nicht überlebt .Ich wurde jedes Jahr wegen Unterernährung. zu einer Kur geschickt.

Die Versorgung des Haushaltes übertrug meine Mutter im wesentlichen auf ihre Kinder .Ihre körperlichen und seelischen Kräfte reichten für die Hausarbeit kaum aus. Da ich 1945 erst 6 Jahre alt war übertrug meine Mutter die Rolle des Vaters auf meinen 4 Jahre älteren Bruder, wodurch es zu erheblichen Konflikten kam Die s

Schulaufgaben mussten von uns alleine bewältigt werden .Meine Mutter konnte kaum etwas kontrollieren und begleiten

Ein weiteres Problem war die Wohnung. Da unsere Wohnung im Krieg heil geblieben ist, mussten wir bald Zimmer abgeben. Eine Familie mit 5 Kindern zog ein, die Schwester meines Vaters kam aus Schlesien, eine Opernsängerin wohnte bei uns und eine Mitarbeiterin eines Museums. Diese vielen Menschen mit ihren Eigenarten und ihren Problemen waren für uns Kinder eine Bereicherung , aber für meine Mutter schwer zu verkraften.

Im Oktober 1949 wurde die DDR gegründet .Meine Mutter sah sich einem erneuten autoritären System gegenüber .Da wir uns zur Kirche hielten, hat unsere Familie große Schwierigkeiten erfahren. Wir konnten alle nicht eine höhere Schule besuchen, bezw. mussten diese bei den Unruhen des 17 .Juni 1953 verlassen .Mein Bruder flüchtete 18 jährig in den Westen. Sein 1 Jahre älterer Bruder wurde 1955 wegen eines Wirtschaftsvergehens zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt

Meine Mutter hat auf ihre eigene Art die Probleme gemeistert, wenn auch ein geordnetes ,liebevolles Familienleben dabei nur selten möglich war Einige ehrenamtliche Helferinnen der Bahnhofsmission waren ihr durch ihre Gespräche Ratgeber und Helfer bei der Bewältigung von Problemen .Sie pflegte ein Damenkränzchen mit Frauen von ehemaligen Kollegen ihres Mannes .Aber vor allen Dingen half ihr durch diese schwere Zeit ihre innere Haltung. Wenn meine Mutter nicht in ihrer Kindheit und Jugendzeit schon mit Verlusten umzugehen gelernt hätte und im Haushalt auf dem Rittergut ihres Onkels praktische Fähigkeiten erworben hätte, wäre ihr Leben nach 1945 sicherlich anders verlaufen. Da sie für sich und ihre Kinder Wohnraum hatte ,blieb sie bis 1956 in Jena wohnen und ist erst dann über Berlin in den Westen geflohen. Meine Mutter wurde 93 Jahre alt.